Asato ma sad gamaya
Vom Unwirklichen zum Wirklichen führe uns.
tamaso ma jyotir gamaya
Von der Dunkelheit zum Licht führe uns.
mrityor ma amritam gamaya
Vom Tod zur Unsterblichkeit führe uns.
Guru Purnima ist das Fest, an dem die Schüler den Guru feiern – der Vollmond des Lehrers. Wir feiern an diesem Tag die spirituellen Lehrer der Satyananda Yoga Tradition.
Purnima bedeutet “Vollmondnacht”. Guru Purnima ist der Tag, an dem der Mond seine größte Strahlkraft während eines ganzen Jahres erreicht. Er folgt dicht auf den längsten Tag des Jahres, die Sommersonnwende, im Juli.
Guru ist die Bezeichnung für die fortgeschrittenen Weisen, die auf dem Pfad der seelischen Weiterentwicklung höchste Ebenen realisiert haben und das Wissen, um den evolutionären Weg der Seele erfolgreich zu beschreiten, für nachkommende Generationen aufbewahren und an sie weiter geben.
“Gu” bedeutet Dunkelheit, und “ru” bedeutet Licht. Guru bedeutet also “Der die Dunkelheit vertreibt”. Guru Purnima ist der Tag, an dem der Sage nach die Strahlen der Sonne zum ersten Mal die Erde berührt haben. Es ist der Tag der Weisheit, der Tag des Lichts. Tamaso ma jyotir gamaya,…führe uns von der Dunkelheit zum Licht. Guru Purnima ist deshalb der Beginn des spirituellen Jahres. Es bildet den Anfangspunkt der chaturmas – einer viermonatigen Zeit der Mäßigung und spirituellen Betätigung.
In allen Kulturen wurden spirituelle Lehrer, Meister oder Mentoren respektvoll geachtet. Indien, als Land der Vedas und des Yogaursprungs, ehrt mit dem Guru-Purnima-Fest, die Tradition der erleuchteten Lehrer, die dieses Land vom alters her hervorgebracht hat.
Es ist eine wertvolle und sensible Zeitphase, in der der persönliche Meister die höchste Kraft besitzt, seine Schülern auf höhere Ebenen des Bewusstseins zu führen und ihnen besondere Wahrnehmungskanäle zu öffnen. Die Beziehung zwischen Meister und Schüler ist eng. Sie besitzt eine übergeordnete Macht, die höher einzuschätzen ist als jede andere menschliche Beziehung. Sie geht weit über das bestehende Leben hinaus und verbindet unendliche Existenzen.
Dieser Lehrer, der Einblicke in Ebenen der Wahrheit besitzt, die dem normalen Menschen verborgen sind, erweckt im Schüler die inneren Quellen der Wahrheit und des Wissen. Er ist der Fährmann, er ist Atman, der den Schüler von der Ignoranz zur Erleuchtung führt. Er bringt das Licht in die Dunkelheit und entzündet das Feuer der Weisheit.
Zu Guru Purnima berührt der Guru die Herzen aller Schüler. Sei vorbereitet: öffne dein Herz und deinen Geist. Empfange in Achtsamkeit den Segen.
Paramahamsa Satyananda Saraswati
An diesem Tag bringen die Schüler ihre Hingabe und die Früchte ihres Übens dem Meister dar, in Form ihrer Dankbarkeit und Liebe. Jeder Schüler macht eine neue Sankalpa (Erneuerung seines Entschlusses), mehr zu üben, die Lehren des Gurus besser zu verstehen, Guru Seva zu praktizieren und sich der Gnade des Gurus als würdig zu erweisen. Am Guru Purnima trachten wir nach den Segnungen unseres Gurus. Indem wir uns an diesem Tag auf den Guru konzentrieren, mit unserem Geist, unserem Prana, unserem Selbst, können wir Darshan mit dem Guru erfahren.
Wer ist der Guru?
Die Rolle des Guru ist es, das Karma und die Gesamtheit des Schicksals eines Schülers zu verstehen. Er schlägt vor, was der Schüler tun soll.
Paramahamsa Satyananda Saraswati
Der Guru ist der spirituelle Lehrer, der seine Schüler in den spirituellen Pfad einweiht und sie zur Befreiung führt. Der Guru ist einer, der seine Identität mit “Diesem” realisiert hat, der absoluten Quelle von allem, und der es sich zur Aufgabe macht, andere zu dieser Verwirklichung hinzuführen. So manifestiert sich Gott in der Form des Guru. Für jemanden, der keinen physischen Guru besitzt, ist Gott selbst der Guru.
Manchmal vereint sich ein physischer Guru mit dem Bewusstsein und Glück des Absoluten Wesens, und verlässt damit die physische Ebene. Er ist aber weiterhin imstande und willens, ernsthaft Suchenden zu helfen. Der Guru in seiner subtilen Form bleibt jedoch als die Gnade verleihende Kraft Gottes erhalten. Guru, Gott, Selbst, alles durchdringendes Bewusstsein, Shakti, alles ist eins.
Guru tattva oder Guru-Prinzip:
ist das Prinzip, nach dem die Natur alles Leben in unserer inneren und äußeren Welt erschafft, erhält und zerstört, in jedweder Art und Weise, die nötig ist, damit wir von der Unwissenheit zur Weisheit, vom Egoismus zur Selbst-Verwirklichung gelangen. Es existierte schon, bevor das Universum erschaffen wurde, und transzendiert deshalb Zeit und Raum. Das Guru-Prinzip existiert in jedem von uns als das innere Selbst. Wenn wir also den äußeren Guru ehren, ehren wir gleichzeitig unser eigenes Selbst. Es ist die unpersönliche Shakti, die spontane Kraft, die alles erschafft, was zur größten Ausdehnung der sadhana erforderlich ist. Sie ist mächtiger als der äußere Guru, weil sie immer zugänglich ist.
Worin besteht der Zweck des Guru Purnima-Festes? Geht es nur datum, die Verbindung und Vereinigung mit unserem Guru und Meister zu feiern? Ist es einfach noch so ein Tag, den die Gesellschaft als Tag des Guru feiert, so wie Vatertag und Muttertag? Es gibt einen speziellen Grund, Guru Purnima zu feiern: die Verbindung mit dem Guru Tattwa oder dem Element. Und dieses Guru Tattwa ist Kraft, keine Person; Guru ist Kraft.
Paramahamsa Niranjanananda Saraswati
Der Innere Guru
Irgendwann muss der Schüler den äußeren Guru transzendieren und den Guru als spirituelles Prinzip oder tattva in sich selbst entdecken. Westliche Schüler haben es oft sehr eilig, zur Erleuchtung zu gelangen, und verwerfen häufig den äußeren Guru zu früh, wodurch die Gefahr weiterer Verwirrung entsteht.
Der einzige innere Guru, der dem durchschnittlichen Individuum zugänglich ist, ist das Ego-Selbst. Das Ego-Selbst ist die Ursache unserer Unerleuchtetheit, und es stößt den Schüler tiefer in Unwissenheit, Verwirrung, Selbsttäuschung und letztendlich Verzweiflung hinein.